Kirschblütenbaum Wuxi
Workation

你好,来自中国

你好,来自中国

Workation
25. April 2024 Lesedauer: 10 Minuten
Jasmin Wüthrich

Mein Mann und ich starteten im November 2022 unser China-Abenteuer in Wuxi und haben so durch seine Arbeit und die grosszügige Möglichkeit von Markenkern die Chance auf ein zeitlich begrenztes Expat-Leben in China erhalten.

Wuxi China
Wuxi, unsere neue Heimat

Das Leben hier ist grundlegend anders. Wenn man 27 Jahre lang in einem westlichen Land wie der Schweiz gelebt hat, kann man sich das ungefähr so vorstellen, dass man hier tagtäglich bei noch so kleinen Tätigkeiten aus seiner Komfortzone tritt. Alles ist so anders, als wir es in der Schweiz gewohnt waren oder wie wir es kannten. Das beginnt bereits beim grössten Punkt, der Sprache. Ohne Chinesischkenntnisse hat man praktisch keine Chance. Aber das lässt sich zum Glück ja lernen, und ich bin froh, dass ich bereits etwas mehr als zwei Jahre vor Abreise damit begonnen habe. Die Unterschiede gehen weiter in der Art, wie man seine Einkäufe macht – Spoiler: du kannst dir alles praktisch zu jeder Tages- und Nachtzeit überallhin liefern lassen; sei es Gemüse für das Abendessen, Taschentücher-Nachschub, ein Wandnagel am Sonntagmorgen, um die neusten Urlaubsbilder aufzuhängen, oder einfach einen Kaffee, welcher in den meisten Fällen innerhalb von 15 bis 30 Minuten brühwarm vor deiner Haustüre abgeliefert wird. Weiter geht es mit Bekanntem: gegessen wird mit Stäbchen, Besteck findet man ausserhalb der eigenen vier Wände nur in einem moderneren westlich orientierten Restaurant. Selbst die öffentlichen Toiletten sehen hier anders aus als gewohnt (hier benutzt man sogenannte Squatting Toilets) und dadurch erhält man eine ganz neue, andere Beziehung zu seinen Schuhen: was früher schön im Kleiderschrank aufgestellt wurde, betritt heute die Wohnung nicht mehr ;-)

 

Der weitaus grösste Aspekt hingegen ist aber, dass ein Leben in einem anderen Land mit einer völlig anderen Kultur einen enorm viel lernen lässt; über sich selbst, über das Leben hier, reflektiert über das Leben in der Heimat, über die Menschen und vor allem darüber, dass es niemals nur ein Richtig oder Falsch gibt, sondern einfach verschiedene Herangehens- und Sichtweisen – wahnsinnig bereichernd! Und genau das ist es, was mich so sehr fasziniert und uns den Schritt nach China wagen lassen hat.

Park Wuxi China
Die schönsten Sonnenuntergänge praktisch vor der Haustüre im angrenzenden Park.

Convenience in China

Es gibt viele Facetten, die das Leben in China durch den digitalen Fortschritt enorm erleichtern und «bequem» machen. Vieles davon – weiss ich bereits jetzt – würde und werde ich in der Schweiz vermissen.

 

In China dominieren hauptsächlich zwei Apps, die das gesamte Leben abdecken: WeChat (Wēixìn) und Alipay (Zhīfùbǎo). Wenn man das Haus verlässt, genügt das eigene Smartphone. Eine Handtasche wird überflüssig, und mein Portemonnaie habe ich pensioniert. Dadurch kann es vorkommen, dass die eigene Bankkarte erst Monate nach dem letzten Heimatbesuch in der Schweiz genau in dieser Tasche wiedergefunden wird, welche zuletzt auch in der Schweiz getragen wurde ;-)

Und die Sorge vor einem leeren Akku ist völlig unbegründet, denn Powerbank-Stationen gibt es hier ungefähr so viele wie Chinesen selbst. Jedes Lokal und fast jeder noch so kleine Laden bietet Powerbanks zur Miete für einige wenige Yuan zur Benutzung an.

 

 

Sämtliche Payments und Dienste laufen also über diese beiden Haupt-Apps. Taxis werden darüber bestellt und ein QR-Code in der App dient als Metro-Ticket. Mahlzeiten, Kaffee von Starbucks um die Ecke oder Lebensmittel- und Haushaltswaren werden damit bestellt, und sogar die Strom-, Wasser- und Handyrechnungen werden darüber empfangen und bezahlt.

Öffentlich ausleihbare Fahrräder – die in China entlang eines jeden Strassenrands zu Haufen stehen und jeden Abend in der ganzen Stadt eingesammelt und wieder fein säuberlich für den nächsten Morgen an den dafür vorgesehenen Plätzen aufgereiht werden – können mit einer dieser Apps gescannt und aufgeschlossen werden und sind so bereit, damit loszufahren.

In den Restaurants gibt es kaum mehr Speisekarten. Auch hier verfügt jeder Tisch über einen eigenen Code, der mit einer der beiden Apps eingelesen wird. So kann das Essen bestellt und direkt bezahlt werden, was einem das Warten auf die Rechnung nach Beendigung des Essens erspart.

 

Aber natürlich sind beide Apps auf Chinesisch. Dank Übersetzungs-Apps stellt dies jedoch kein allzu grosses Hindernis dar und sorgt eher für einige gute Lacher bei skurrilen Übersetzungen. Ist aber auch der Grund für die mittlerweile unzähligen Screenshots auf meinem iPhone, trotz eines ungefähr zweiwöchentlichen Lösch-Rhythmus.

Pekin, Tánghúlú, Great Wall
Peking mit der atemberaubenden Great Wall, seinen bekannten Süssigkeiten «Tánghúlú» und unzähligen idyllischen Parks.

Sicherheit

Die Menge an öffentlichen Kameras mag vielleicht vom «Hörensagen» für manche abschreckend wirken und nach viel Kontrolle klingen. Es ermöglicht jedoch wiederum Dinge, die an anderen Orten undenkbar wären: Ein mitten in der Bahnhofs- oder Flughafen-Wartehalle stehender Koffer ist hier absolut kein Grund zur Panik oder zu einem Polizeiaufgebot, da vor Betreten des Geländes sowohl ein Gepäck- und Bodyscan durchgeführt wird als auch nur Zutritt mit gültigem Ticket möglich ist. So ist ein verlassener Koffer lediglich das Zeichen eines Chinesen, der vor der Abfahrt noch schnell aufs WC musste ;-)

Auch haben wir hier noch so gut wie nie die Haustüre abgeschlossen, weder nachts, abends noch, wenn wir mehrere Tage weg sind. Ich muss niemals mein Velo abschliessen, egal an welchem Ort ich es platziere. Den Schlüssel meines E-Rollers kann ich vor einer Einkaufsmall stecken lassen, und es können an einer noch so belebten Strasse mehrere Pakete von Onlinebestellungen liegen – sie werden weder angefasst noch gestohlen.

huangshan berge china
Unwirklich erscheinende Berglandschaften in Huangshan.

Leben und arbeiten in China

Nun aber genug über die Unterschiede zwischen China und der Schweiz im Allgemeinen. Wie ist das Arbeiten hier?

 

Grundsätzlich kann ich sagen, es macht kaum einen Unterschied, ob ich in der Schweiz am Bodensee im Homeoffice gearbeitet habe oder hier in Wuxi. Der fast einzige kleine, feine Unterschied ist nur ein sogenannter VPN, welcher mir ermöglicht, auf sämtliche westliche Internetseiten zuzugreifen. That’s it. Natürlich kommt noch die Zeitverschiebung hinzu; ich bin der Schweiz sozusagen der Zeit voraus und beginne meinen Arbeitstag früher. Im Sommer sind es sechs Stunden Differenz, im Winter sieben (Fun Fact: Obwohl China das flächenmässig viertgrösste Land ist und sich im Grunde über fünf Zeitzonen strecken würde, hat das ganze Land das ganze Jahr hindurch eine einzige Zeit – der Einfachheit halber). So halten wir gemeinsame Zoom Calls und Meetings in der Schweiz am Morgen ab, wo es bei mir bereits Nachmittag/früher Abend ist.

 

Damit ich dennoch nicht den ganzen Tag ganz alleine zu Hause bin, durfte Ende letzten Oktober eine kleine, zuckersüsse Katzendame bei uns einziehen, die uns mit zwei Monaten alt und völlig ausgehungert auf unserem Parkplatz vor dem Haus zugelaufen ist – win-win für alle sozusagen ;-)

 

Und wie ist das Leben hier? Wir wohnen zwar in einer «kleinen» Grossstadt (nur ungefähr so viele Einwohner wie die ganze Schweiz :D), dürfen uns aber glücklich schätzen, quasi direkt an einem wunderschönen Park zu leben und haben so fast genauso viel Grün um uns herum, und den See quasi gleich nahe, wie wir es in der Schweiz hatten. 
Wuxi befindet sich in der Provinz Jiangsu ganz im Osten Chinas, relativ nahe an der Metropolenstadt Shanghai. Mit dem Highspeed-Zug ist man innerhalb von 30 Minuten von Wuxi in Shanghai – mit dem Auto dauert es je nach Tageszeit und Verkehrssituation zwischen zwei und drei Stunden.

 

Direkt in unserem Quartier leben noch einige andere Expats aus verschiedenen Ländern und einheimische Chinesen. Mit einigen davon haben wir schöne Beziehungen aufbauen können und geniessen an warmen Tagen gemeinsame Barbecues oder Feierabend-Drinks draussen im Garten. Auch ein Yoga-Studio gibt es zu meiner grossen Freude direkt um die Ecke, in dem ich auch ein paar sehr liebe Freundinnen kennenlernen durfte.

Und für sämtliche Fragen, die das Leben in China so mit sich bringt, gibt es fast unzählige WeChat-Gruppen, in denen immer jemand eine helfende Antwort weiss :-).

guangxi china
Der grösste transnationale Wasserfall in Asien an der vietnamesischen Grenze (auch wenn hier gerade Trockenzeit herrschte, sehr eindrücklich).

Reisen in China

In diesen eineinhalb Jahren in China konnten wir einige beeindruckende Ziele bereisen. Das erste Abenteuer war eine Woche in Peking während des chinesischen Neujahrsfestes. Ja, mit dem heutigen Wissen und zu jetziger Zeit würden wir es nicht mehr wagen während den offiziellen Feiertagen zu verreisen, aber im Januar 2023 war dies für viele Chinesen die allererste Möglichkeit, ihre Familien nach über drei Jahren wiederzusehen. Daher wagten wir die Reise und fuhren im Zug einen Tag nach offiziellem Ferienbeginn über Nacht im Schlafwagen nach Peking. Dort konnten wir eine Woche lang Spaziergänge durch Pekings sogenannte Hutongs unternehmen, Tánghúlú (mit Zucker übergossene Früchte) probieren, den Himmelspalast und diverse Pärke besuchen (inklusive «Velofahren» auf dem gefrorenen See, wie ihr im Reel sehen könnt) und natürlich die Chángchéng 长城 (Chinesische Mauer) bei minus 20 Grad Celsius in Eiseskälte erleben. Und da waren wir praktisch alleine! Alleine auf der Chinesischen Mauer, kaum zu glauben!

 

Es folgten weitere Ziele wie die Huangshan Mountains über Ostern, Besuche der Nachbarstädte Suzhou und Shanghai (meine absolute Lieblingsstadt auf Lebzeiten – egal was da noch kommt ;-)), ein Kurztrip in den Süden Chinas an die vietnamesische Grenze in die Provinz Guangxi mit Velotouren durch unwirklich erscheinende Bergformationen, umgeben von Mais- und Reisfeldern.

 

Während der Golden Week (der zweiten landesweiten Ferienwoche Chinas) erlebte ich mein persönliches Highlight aus unserem ersten Jahr hier: Wir reisten eine Woche in den Weiten der Natur von Tibet bis zum Himalaya und verbrachten eine Nacht im Mount Everest Base Camp auf 5200 Metern über dem Meeresspiegel, gefolgt von einer tatsächlich glasklaren Sicht auf den höchsten Berg der Erde.

 

Dieses Land bietet eine Vielfalt, wie ich es mir weder je vorgestellt habe, noch wirklich begreifen kann.

shanghai china
Shanghai – Lieblingsstadt für immer

Fazit

Der Anfang war nicht einfach – die Pandemie hat es uns zusätzlich erschwert und war auch Schuld am mehrmaligen Verschieben unseres Starts hier – aber dennoch wurde mir bereits nach kurzer Zeit hier in China klar, wie unfassbar grossartig diese Chance ist, die wir erhalten haben.

Trotz des Vermissens von Familie, Freunden und Teamkolleg*innen habe ich das Leben hier sehr, sehr lieben gelernt und bin fasziniert davon, auf Zeit in einem fernen Land leben zu können. Ich kann mit Sicherheit sagen, ich wäre um so viele Erfahrungen «ärmer», wenn wir nicht hier wären und den Schritt nicht gewagt hätten.

Ich freue mich auf alles, was wir von und in China noch sehen und erleben dürfen und natürlich auch wieder auf meine nächste «Workation reversed» – Arbeiten und Familienzeit in der Schweiz :-D

tibet, china
Highlight-Reise aufs Dach der Welt: Tibet

Rating (1 = schlecht; 5 = ausgezeichnet)

Unterkunft: 10/5 ;-)
 10 Punkte weil ich unser Zuhause und die Lage im Park am See so mag. 

Ort / Stadt: 4.5/5

Fun / Aktivitäten: 4/5

Essen / Trinken: 5/5 
Ich liebe die chinesische Küche und deren Vielfalt hier sehr. So sehr, dass ich in den «Heimaturlauben» bisher das chinesische Essen fast etwas mehr vermisst habe als umgekehrt :D

Overall-Erfahrung: 5/5

mt everest base camp china
We made it: das Mount Everest Basecamp tibetischer Seite auf 5200 Metern über Meer.