Jungunternehmenforum

Bündner Start-up mit weltweit neuer Technik: Wenn der BH zum Zeichen der Inklusion wird

16. Oktober 2025

Die MYNE AG aus Domat/Ems entwickelt massgefertigte BHs per Smartphone-Scan mit dem Anspruch, Passform inklusiv, statt normiert zu denken. Ziel ist, das Grössensystem zu überwinden und Produkte an Menschen anzupassen, nicht umgekehrt. Für diese Vision steht das Team im Final des Founders-Award 2025. 


von Anna Panier

 

Der eigentliche Treffpunkt zum Interview, ein Restaurant in der Churer Altstadt hat überraschend geschlossen. Linda und Mathias Durisch reagieren im Stil ihres Start-ups: rasch und lösungsorientiert. Kurz entschlossen buchen sie einen Meetingraum bei einem befreundeten Unternehmen. Ideenreichtum, Pragmatismus, Tempo – was in dieser kleinen Szene sichtbar wird, prägt auch ihre grosse Idee: Kleidung, die passt ohne Kompromisse. 

Wo MYNE ansetzt 

«Als Erstes, wenn ich nach Hause komme, ziehe ich meinen BH aus» – dieser Seufzer der Erleichterung vereint Millionen. Für viele ist der BH Stütze und Zumutung zugleich. Studien beziffern das Problem: Rund 50 Prozent der Trägerinnen und Träger wählen die falsche Grösse. «Als wir diese Zahl gesehen haben, war das ein Weckruf», erinnert sich Mathias an den Moment, in dem ihm und Linda das Ausmass bewusst wurde. Die Köpfe ratterten und die Idee für ihr Unternehmen MYNE war geboren. 

Seit mehreren Jahren betreibt das Paar eine Innovationsagentur und entwickelt üblicherweise Produktideen für andere Unternehmen. Doch diesmal war es anders. «Wir wussten immer: Wenn wir einmal eine Idee haben, die nicht zu unseren Kundinnen oder Kunden passt, dann machen wir das selbst», erzählt Linda mit leuchtenden Augen. Aus dem Weckruf wurde ein Entschluss und aus dem Entschluss eine Mission: ein BH, der sich dem Körper anpasst, nicht umgekehrt. 

Tränen der Erleichterung 

Der Weg von MYNE sei auch mit vielen Emotionen verbunden. Linda erinnert sich an eine Begegnung bei einer der ersten Veranstaltungen ihres Start-ups: «Da erzählte eine Frau, dass sie nach einer Brustoperation endlich wieder einen BH gefunden hat, der ihr passt und bequem ist.» « Eine Hebamme im Publikum fing sogar an zu weinen», ergänzt Mathias. In diesem Moment wurde dem Paar klar: MYNE löst nicht nur ein technisches Problem. «Wir geben Menschen ihr Wohlbefinden zurück», betont Linda. 

Seither erreichen die Beiden unzählige Rückmeldungen: Frauen, deren Körper sich nach einer Geburt verändert hat, Sportlerinnen mit breiten Schultern, Menschen mit unterschiedlich grossen Brüsten, sie alle finden endlich einen BH, der zu ihrem einzigartigen Körper passt, wie Linda sagt. «All boobs welcome», lautet das Motto von MYNE. «Ganz egal, wie dein Körper ist – wir machen für dich ein Produkt, das passt und in dem du dich rundum wohlfühlst», betont das Gründerpaar. 

Schritt für Schritt zur Lösung 

Der Weg zur Lösung war geprägt von Experimenten und langen Nächten. «Müssten Menschen ihre Brüste in einen Wassereimer halten und messen, wie viel Wasser verdrängt wird?», sagt Linda mit einem Grinsen rückblickend über frühe Brainstormings. Das Ziel war stets klar: eine Messmethode, die zugleich alltagstauglich, präzise und sicher ist. 

Ein entscheidender Schritt folgte mit einem Technologiepartner, der das Scannen per Smartphone vereinfachte. Mit Kamera und KI entstand ein Verfahren, das mehr als 100 Körpermasse erfasst, diskret, präzise und ohne Entkleidung. 

Technologie mit Herz und Datenschutz 

Das Scan-Verfahren ist alltagstauglich und simpel: Das Smartphone wird in einem definierten Winkel platziert, die Person dreht sich einmal um die eigene Achse, 16 Bilder – fertig. Niemand muss sich dafür ausziehen. «Das Gesicht wird direkt auf dem Gerät unkenntlich gemacht», betont Mathias. Die Aufnahmen sind damit anonymisiert, bevor sie verarbeitet werden. Ein KI-gestütztes System vergleicht die anonymisierten Fotos mit einer Datenbank von über 3000 Körperscans und leitet daraus die relevanten Massen ab. 

Beim Datenschutz setzen die Gründer auf strikte Trennung von Bilddaten und Personendaten. «Wo die Bilder liegen, ist niemals der Name. Man kann nicht zuordnen, welche Bilder zu welcher Person gehören», erklärt Linda. «Vertrauen ist für uns alles», ergänzt sie. 

Aus den Messdaten entsteht die Passform, die später in der Fertigung umgesetzt wird ohne Rückschluss auf die Identität der Nutzerin oder des Nutzers. Made-to-Order anstatt Überproduktion 

Produziert wird erst nach Eingang der Bestellung. Das Made-to-Order-Prinzip reduziert Lagerbestände und wirkt der Überproduktion in der Textilbranche entgegen. Technisch zentral ist ein flexibles Silikonbügel-System, das sich der individuellen Anatomie anpasst. «Wir setzen die Formgebung dort, wo der Körper Unterstützung braucht», sagt Linda. 

Die Gründer kritisieren Standardgrössen als zu grob. «Wie soll man in einem Laden mit zehn Grössen immer das Passende finden?», fragt Mathias. MYNE verzichtet deshalb auf fixe Grössen und arbeitet mit individuellen Massen – die Passform folgt dem Körper, nicht umgekehrt. 

Eine Vision, die berührt

Trotz über 1000 bereits produzierter BHs ist dies erst der Anfang, wenn es nach dem Paar geht. «Wir haben die grosse Vision, dass in Zukunft nicht mehr nach Grössensystem eingekauft wird, sondern nach Körperform, erklärt Linda. «Dann ist man einfach so wie man ist gut und kein Grössensystem schliesst jemanden aus. Das ist viel zeitgemässer.»

Als nächste Schritte nennen die beiden eine Expansion in die gesamte DACH Region. Zudem soll der Maschinenpark erweitert werden, damit weitere Modelle für noch mehr Grössen – insbesondere grosse Grössen – möglich werden. Auch die Kollektion soll wachsen, etwa um Sport-BHs und Bikinis. Auf die Frage, wo MYNE in fünf Jahren steht, sagt Linda: «In fünf Jahren ist MYNE in Europa eine bekannte Marke für alle, die massgefertigte Produkte wollen.»

Das Geschäft als Herzensangelegenheit 

Für Linda und Mathias ist MYNE mehr als ein Unternehmen: Technologie zählt für sie dann, wenn sie den Alltag spürbar erleichtert. «Unsere wichtigste Kennzahl ist schlicht: wenn Kundinnen wiederkommen», sagt Mathias. Besonders bewegen die beiden Rückmeldungen, in denen Kundinnen berichten, sie hätten andere BHs aussortiert und würden nur noch MYNE tragen. Genau solche Stimmen seien für das Gründerpaar Bestätigung und zugleich der Antrieb für die nächsten Schritte. 

Das 13. Jungunternehmenforum Graubünden

Die Founders-Night findet am 29. Oktober 2025 an der Fachhochschule Graubünden statt. Linda und Mathias buhlen mit MYNE im Startup-Duell um den Founders-Award 2025. Ihre Konkurrenten sind la stizun - das innovative Dorfladenkonzept sowie PROPI mit ihrem «Harta Iischtee». Das Preisgeld beträgt 3000 Franken. Ausserdem wird das beste Bündner Tech-Startup des Jahres ausgezeichnet. 

Weitere Informationen und Tickets für den Anlass gibt es unter www.jungunternehmenforum.ch.